A. Ecclesia: Horace Edouard Davinet 1839–1922

Cover
Titel
Horace Edouard Davinet 1839-1922. Hotelarchitekt und Städteplaner


Autor(en)
Ecclesia, Alexandra
Reihe
Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 94
Erschienen
Zürich 2021: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
CHF 49.00
von
Dieter Schnell

Wer sich für die Architekturgeschichte Berns interessiert, dem ist der Name des Architekten Davinet nicht unbekannt. Viel mehr, als dass er das Grandhotel Giessbach am Brienzersee und weitere grosse Hotels in den Bergen sowie die Villa Schmid in Burgdorf und weitere Wohnhäuser in Bern entworfen hat, wussten bisher aber nur wenige. Nun hat sich die Kunsthistorikerin Alexandra Ecclesia hinter die Quellen, die erhaltenen Pläne, die Verzeichnisse und die Fachliteratur gesetzt, das Leben und vor allem das Lebenswerk des in Frankreich geborenen und fast zeitlebens in Bern tätigen Architekten aufgearbeitet und in einer Monografe dargestellt. Entstanden ist das detailreiche Bild eines Fachmannes, der sich weniger als Künstler denn als Dienstleister verstanden und in diesem Bereich Ausserordentliches geleistet hat. Der junge Davinet hatte eine praktische Architekturlehre bei seinem Schwager Jakob Friedrich Studer absolviert und danach mit diesem in einem gemeinsamen Architekturbüro gearbeitet. Jahrelang leitete er dabei das Zweigbüro in Interlaken. Er galt bei seinen Zeitgenossen als Praktiker und lösungsorientierter Fachmann. Er soll nie an einem Architekturwettbewerb teilgenommen haben und trotzdem stets ein vielbeschäftigter Entwerfer und ausführender Architekt gewesen sein. Wie die Autorin schreibt, hat er bei Gestaltungsfragen nicht so sehr ein exaktes Einhalten historischer Stile angestrebt als vielmehr die Vorlieben der Bauherrschaft umzusetzen versucht. Seine Bauten sind denn auch im besten Sinn des Wortes gefällig, was nebst seinen weitherum bekannten, praktischen Fachkenntnissen zu seinem grossen Erfolg beigetragen haben mag.

Die Monografe zeigt uns also für einmal nicht einen über Jahre an einer ausländischen Architekturakademie, einem Polytechnikum oder einer École des Beaux-Arts ausgebildeten Baukünstler des Historismus, der seine Architektur- und Stilkenntnisse auf einer anschliessenden grossen Studienreise durch Italien und allenfalls weiter in Griechenland oder gar im Orient verfeinert hat. Davinet entsprach aber auch nicht dem in den vergangenen Jahren in mehreren Studien etwas genauer untersuchten Typus des entwerfenden Baumeisters. Vielmehr lebte er von seinen Entwürfen und von der Bauleitung, ohne dass er je ein Baugeschäft betrieben hat. Seine Gebäude galten als auf dem Stand der Zeit, nicht weil er stilistisch besonders subtil entwarf, sondern weil er in der Grundrissorganisation und in der praktischen Ausführung die gestellten Anforderungen bestmöglich zu lösen verstand, weil er über den aktuellen Stand der Architektur genau informiert war und in seinen Entwürfen die entsprechenden Erwartungen der jeweiligen Bauherren auch in der Gestaltung zu erfüllen verstand.

Das Buch beginnt mit der Herkunft, der Familie und der Ausbildung Davinets, wobei die Kürze des Textes der sehr mageren Quellenlage geschuldet ist. Der aus Frankreich stammende Halbwaise folgte seiner älteren Schwester nach Bern und scheint hier eher zufällig durch seinen Schwager ins Architekturfach eingeführt worden zu sein. «Büros und Facetten Davinets» heisst das zweite Kapitel, worin die Autorin Hinweise zu ersten Projekten, zur Organisation des Büros, zur internen Aufgabenverteilung und zum persönlichen Umfeld gibt. Hier überrascht, wie schnell Davinet bereits verantwortungsvolle Aufgaben übernommen hat, was wohl als Hinweis auf seine hohe Begabung gewertet werden darf. Sodann folgen vier Kapitel, die sich einzelnen Aufgabenfeldern widmen: «Tourismusbauten», «Wohnbauten und übrige Bauten», «Der Stadtplaner» und «Der Inspektor am Kunstmuseum Bern». Die Autorin erweist sich darin als ebenso pragmatisch wie ihr Studienobjekt: Mit sicherem Gespür für das Wesentliche beschränkt sie Baugeschichtliches und Stilistisches auf das notwendige Mass und schreibt vorwiegend über die Grundstruktur und die Grundrissorganisation der Bauten, die beide Davinets grosse Stärken gewesen sind. Die Beobachtungen und Analysen hierzu sind überzeugend und präzise und werden mit beispielhaften Vergleichen zu anderen Architekten gut in die allgemeine Architekturgeschichte eingebettet. Das mit «Eine Berner Persönlichkeit» überschriebene Schlusskapitel rundet die Monografe ab und bildet mit dem ersten Kapitel eine schöne, feinfühlig auf die Person eingehende Klammer um den Hauptteil, der sich mit dem Werk beschäftigt. Auch hier begegnet uns ein feissiger, kenntnisreicher und überaus gewandter Fachmann, der sowohl fachlich als auch menschlich von seinen Zeitgenossen eine sehr hohe Wertschätzung erfahren durfte.

Die Buchgestaltung pendelt zwischen grosszügigen und beengten Seitenlayouts, wobei leider die Pläne oft recht klein und dadurch schwer lesbar abgedruckt sind. Im Anhang fnden sich ein bebildertes Werkverzeichnis mit einer wenig aussagekräftigen Karte sowie die üblichen Verzeichnisse. Beim erschreckend kurzen Literaturverzeichnis wird schlaglichtartig deutlich, wie wenig Studien oder Monografen es über die Architektur des 19. Jahrhunderts bis heute gibt. Wer in diesem Buch eine Einbettung des Werks von Davinet in den bernischen Architekturkontext vermisst, darf der Autorin keinen Vorwurf machen: Allein schon das Literaturverzeichnis macht überdeutlich, dass derzeit eine solche Einbettung noch nicht geschrieben werden kann. Noch keiner seiner Architektenkollegen ist so umfassend aufgearbeitet wie nun Horace Edouard Davinet. Die Arbeit stellt nämlich nahezu eine Pioniertat dar: Abgesehen von derjenigen über Theodor Zeerleder, der allerdings kaum gebaut hat, gibt es bislang keine Architektenmonografe über einen bekannten Berner Architekten des 19. Jahrhunderts. Umso verdienstvoller ist das nun vorliegende Buch, hoffen wir, dass es weitere nach sich zieht. Ein verheissungsvoller Anfang ist jedenfalls gemacht.

Zitierweise:
Dieter Schnell: Rezension zu: Ecclesia, Alexandra: Horace Edouard Davinet 1839–1922. Hotelarchitekt und Städteplaner. (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 94). Zürich: Hier und Jetzt 2021. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 1, 2022, S. 48-50.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 1, 2022, S. 48-50.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit